Psychose als Selbst-Findung – 100 Stimmen zu Dorothea Bucks 100. Geburtstag
Dorothea Buck ist nun einhundert Jahre alt. Die einstige Mit-Gründerin des Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener genießt hohe Anerkennung nicht zuletzt auch seitens der psychiatrischen Elite. Dabei wird ihre Lebensgeschichte allzu leicht reduziert auf ihre Rolle als Überlebende des Nationalsozialismus, und die fortdauernd provokative Botschaft ihrer Lebensgeschichte gerät aus dem Blick. „Psychose als Selbst-Findung“ lautet nämlich der Untertitel ihres berühmten Erinnerungs-Buches „Auf der Spur des Morgensterns“. Ausgerechnet eine Frau, die Psychiatriepatientin in der Nazizeit war, und die der so genannten „Euthanasie“ eher zufällig entkam, schreibt in ihrer Rückschau, sie sei froh, nicht in späteren Jahrzehnten in die Psychiatrie gekommen zu sein, denn Neuroleptika hätten dann ihre Erfahrung von „Psychose als Selbst-Findung“ verhindert.
Lernen aus der Vergangenheit hat damit zu tun, das Unbequeme anzunehmen und sich hinterfragen zu lassen. Trotz Verdienstkreuzen und Festredner-Status wird das Unbequeme an Dorothea Bucks Botschaft aber nach wie vor weithin ausgeblendet: Psychose als Selbst-Findung ist inkompatibel mit Versorgungs- und Behandlungsmodellen, die auf Symptomunterdrückung abzielen und so die Erfahrung verhindern, dass Psychose zur Selbst-Findung werden kann. Dorothea Bucks Erinnerungen sind aber auch ein starkes Argument gegen die gängige Denunziation des Anspruchs auf „Psychose als Selbst-Findung“ als ein vermeintlich naives und verharmlosendes Streben romantisierender Anti-Psychiater.
Berühmte Denker erhalten Festschriften zu ihren Geburtstagen. Dorothea Buck ist schon längst berühmt, aber als originelle Denkerin ist sie wohl erst noch richtig zu entdecken. Wir möchten sie mit einhundert Erfahrungsberichten oder Statements ehren. Damit wollen wir der Bedeutung ihres Bekenntnisses zur „Psychose als Selbst-Findung“ Nachdruck verleihen.
Jede*r, der für sich Erfahrungen mit „Psychose als Selbst-Findung“ – im weitesten Sinne und aus verschiedenen möglichen Positionen – gemacht hat, ist eingeladen, beizutragen. Wichtig ist jedoch, dass die persönliche Perspektive kenntlich ist, dass es um eigene Erfahrungen geht und nicht darum, Erfahrungen Dritter zu erklären oder zu bewerten. Damit die 100 Stimmen auch gehört bzw. gelesen werden, wollen wir um kurze Beiträge bitten. Wir denken an 100 Berichte, die je eine Seite lang sind.
Die Idee entstand relativ kurzfristig, bitte meldet Euch bald, wenn Ihr mitmachen möchtet. Die Weitergabe dieses Aufrufs ist absolut erwünscht! Zum Geburtstag erhielt Dorothea eine erste, vorläufuge Fassung dieser Stimmen-Sammlung mit knapp 60 Beiträgen. Wir wollen weitersammeln, bis wir mindestens 100 Beiträge beisammen haben. Es ist nur eine Seite (maximal 4.000 Zeichen mit Leerzeichen), aber mit ihr habt Ihr Stimme! Wir haben auch sehr viel kürzere Texte erhalten, die oft nicht weniger Ausstrahlungskraft haben als längere. Möglich sind auch Zeichnungen, Fotos und Bilder zum Thema. Also, traut Euch und greift möglichst jetzt zum Stift. So können wir zeigen, wie vielschichtig Dorotheas Botschaft ist.
Die Idee zu dieser Fest- und Feierschrift entstand, als Elena Mirkos Beitrag auf einem Trialog-Forum hörte. Der Gedanke, wie Dorothea Bucks 100. Geburtstag wohl öffentlich begangen werden wird, stand schon länger im Raum. Das persönliche Wiedererkennen der Erfahrung von „Psychose als Selbst-Findung“ auch in Mirkos Worten mündete dann in dieser Idee. Wir hoffen, es gibt auch für Euch ein Wiedererkennen unter diesem Stichwort, und Ihr habt Lust, mitzumachen. Meldet euch baldmöglichst per Mail, Post oder Telefon – die Adressen und Nummern findet ihr unten in der pdf-Datei.
Selbstverständlich könnt Ihr Eure Beiträge auch unter einem Pseudonym oder anonym beisteuern.